mike's buchbesprechungen

Orgasmusmaschine - Erotische Erzählungen von Annette Berr

Was ist eine erotische Erzählung? Eine Erzählung, die erotisiert, oder eine die vom Erotischen handelt, oder eine die ein bestimmtes Vokabular verwendet? Für den Zensor mag es einfach sein. Er hat sein Lexikon der verbotenen Wörter und danach kann er entscheiden. Der Literaturkritiker hat es schon schwerer. Um das Erotische zu fassen, muss er eine ganze Phalanx von Theorien auffahren, die ihn am Schluss aber doch im Stich lassen, wenn es darum geht, zum Kern der Sache zu kommen. Den findet allein der Leser (vermutlich auch die Leserin, doch sie kennt der hier Schreibende nur vom Hörensagen - das gilt natürlich auch für die Literaturkritikerin) beim Lesen, oder dann vielleicht auch nicht.

"Die Orgasmusmaschine" ist der Titel der fünften Geschichte in der gleichnamigen Sammlung. Sie handelt von einer Frau, die sich in ihrer Wohnung aus lauter namenlosem, irgendwo gesammeltem Zeugs eine Maschine baut, "eine ultivative Orgasmusmaschine". In diese Maschine gerät unabsichtlich und mit tödlichem Ausgang zunächst ein Mann, dann begibt sich die Titelheldin hinein. Doch sie wird weder von der Maschine umgebracht noch erlebt sie das, wofür sie das Ding eigentlich gebaut hat. Nein, sie wird am Ende bloss ausgespien "wie ein schlechter Geschmack, den man morgens loswerden will". Aber ganz umsonst war es doch nicht: Indem sie in der Maschine gleichsam nochmals den Geburtskanal durchquert, wird sie in ein neues Leben wiedergeboren, ein Leben, in welchem Kopf und Körper zusammengeführt werden. Wahre Sinnlichkeit gibt es nur im Ganzheitlichen - so könnte die Einsicht lauten, zu der die Ich-Erzählerin am Ende ohne jede Überzeugung und mit offensichtlichem Widerwillen gelangt.

Eine erotische Geschichte? Für den Zensor wohl schon, denn sie handelt ja vom "Big O", und es kommt auch mal das Wort "Sperma" drin vor. Für den Leser? Von der Leserin kann und will ich nicht sprechen, aber der Leser fühlt sich genau da berührt, wo die Heldin der Geschichte ihre Probleme verortet: im Kopf. Die Geschichte ist handwerklich sauber geschrieben und knüpft ein vielschichtiges Netz von Sinnbezügen. Viel Stoff fü die Interpretation, gewiss, aber das gewisse Etwas, das man auch "Erotik" nennen kann, fehlt. Vielleicht sollte man Literaturwissenschaftler sein, um ganz auf seine Kosten zu kommen.

Annette Berr: Orgasmusmaschine - Erotische Erzählungen. konkursbuchverlag Claudia Gehrke, Tübingen 2000.
Web: www.konkursbuch.com